Protestbrief

Musikunterricht braucht qualifizierte Lehrkräfte!

Protestbrief des VBS an Kultusminister Piazolo

Vor einigen Wochen verkündete Kultusminister Michael Piazolo unangenehme Neuigkeiten für Lehrkräfte an Grund-, Mittel- und Förderschulen: Um dem eklatanten Lehrkräftemangel Herr zu werden, wird die Unterrichtspflichtzeit in allen drei Schularten erhöht; Möglichkeiten, in Teilzeit zu arbeiten, ein Sabbatjahr zu nehmen oder vorzeitig in Ruhestand zu gehen, werden deutlich eingeschränkt oder gestrichen. Nach Alternativen befragt, äußerte der Kultusminister unter anderem, die in anderen Bundesländern praktizierte Einstellung von Nicht-Pädagogen als Quereinsteiger in den Schulen käme für Bayern nicht in Frage: „Denkbar sei dies nur in Fächern wie Sport oder Musik.“ – so der Minister in der „Augsburger Allgemeinen“ vom 8. Januar 2020.1

Thomas Goppel, der Präsident des Bayerischen Musikrats, reagierte mit einem Brandbrief an den Minister,2 ebenso der VBS, dessen Protestschreiben im Folgenden nachzulesen ist:

„München, im Februar 2020

Sehr geehrter Herr Staatsminister,

der Verband bayerischer Schulmusiker e. V. (VBS) ist der älteste und mitgliederstärkste Fachverband für Musiklehrkräfte in Bayern. Er setzt sich ein für qualitätvollen Musikunterricht an allen Schularten und arbeitet erfolgreich zusammen mit an-deren Akteuren der musikalischen Bildung, etwa mit dem Bayerischen Musikrat, der Bayerischen Landeskoordinierungsstelle Musik und dem Staatsministerium für Unterricht und Kultus. Er ist Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Schulmusik (DGS), eines 2017 gegründeten Dachverbands, der für rund 25 % aller organisierten Musiklehrkräfte Deutschlands spricht und sich für „Schulmusik mit Anspruch“ engagiert.

Ausweislich eines Berichts in der „Augsburger Allgemeinen“ halten Sie die Einstellung von Nicht-Pädagogen als so genannten Quereinsteiger in den Schulen „nur in Fächern wie Sport oder Musik“ für „denkbar“ (Augsburger Allgemeine vom 8. Januar 2020).

Diese Ihre Äußerung haben wir mit Befremden zur Kenntnis genommen. Sie suggerieren, Musikunterricht könne – anders als andere Schulfächer – auch ohne einschlägige Qualifikation erteilt werden. Damit würdigen Sie nicht nur das Schulfach Musik mit seinem umfassenden Bildungsauftrag herab, sondern auch alle Lehrkräfte, die Schulmusik studiert haben und engagiert Musik an bayerischen Schulen unterrichten.

Ihre Einschätzung widerspricht geltenden Beschlüssen der Kultusministerkonferenz. Wie für alle Schulfächer hat die KMK auch für die Musiklehrer*innenbildung ländergemeinsame inhaltliche Standards festgelegt, die ständig aktualisiert werden. Das KMK-Papier spricht explizit von „im Studium zu erwerbenden“ Kompetenzen und legt fest: "Das Lehramtsstudium in Musik bedarf neben fundierten künstlerisch-praktischen und wissenschaftlich- theoretischen Lehrangeboten einer deutlichen Orientierung an schulischen Aufgabenfeldern und schulrelevanten Themen." („Ländergemeinsame inhaltliche Anforderungen für die Fachwissenschaften und Fachdidaktiken in der Lehrerbildung, Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 16.10.2008 i. d. F. vom 16.05.2019, S. 41).

Qualitätvoller schulischer Musikunterricht braucht fachlich wie pädagogisch gleichermaßen qualifiziertes Lehrpersonal – dies erkennen politische Parteien aller Couleur an. Und so stellten auch die „Freien Wähler“ im Vorfeld der Landtagswahl auf eine Anfrage des VBS fest, es gelte, „an allen Schularten qualifiziertes pädagogisches Personal für den Musikunterricht einzusetzen. So sollte jede Lehrkraft, die Musikunterricht abhält, mindestens über grundlegende im Rahmen des Studiums erworbene musikalische und musikdidaktische Fachkompetenzen verfügen. Nur so kann der Musikunterricht zur musikalischen, aber auch zur Persönlichkeitsbildung der Heranwachsenden beitragen.“ (Neue Musikzeitung 10/2018, https://www.nmz.de/artikel/musikunterricht-und-kulturelle-bildung). Mit Blick auf den eklatanten Mangel an ausgebildeten Musiklehrkräften an bayerischen Grund- und Mittelschulen heißt es im Statement Ihrer Partei weiter: „Ebenso wie in den Fachbereichen Sport und Kunsterziehung sehen wir es als durchaus gefährlich und hinderlich an, wenn Musikunterricht vonseiten der Staatsregierung häufig auch in der öffentlichen Diskussion als Randfach dargestellt wird, das auch durch hierfür nicht grundständig ausgebildetes Fachpersonal unterrichtet werden könne. Nach Ansicht der Freien Wähler muss eine qualitätsvolle Musiklehreraus-, aber auch -fortbildung für alle Schularten sichergestellt werden.“ Ihre Aussage, sehr geehrter Herr Staatsminister, steht mithin auch im Widerspruch zu Positionen, die Ihre Partei vor der Wahl vorgetragen hat.

Schulen und Schulmusik brauchen genügend Lehrkräfte, und sie brauchen qualifizierte Lehrkräfte. Gebraucht wird Lehrpersonal, das sich in einem einschlägigen, d.h. auf das Berufsfeld Schule gerichteten Fachstudium, qualifiziert hat. Dass sich Qualifikationen zur Erteilung von schulischem Musikunterricht nicht per Pfingstwunder und auch nicht nebenbei erwerben lassen, belegte die Begleitforschung zum Bildungsprojekt „Jedem Kind ein Instrument“ auf eindrucksvolle Weise (https://bildungsserver.hamburg.de/begleitforschung/).

Sehr geehrter Herr Staatsminister, auf der Website Ihres Ministeriums teilen Sie der Öffentlichkeit mit, dass sich der Bayerische Landtag 2008 dazu bekannt habe, „die Vermittlung kultureller Bildung an allen allgemein bildenden Bildungseinrichtungen als gleichwertiges Bildungsziel anzuerkennen" (https://www.km.bayern.de/kulturellebildung). Schulen sind, darüber dürfte kein Zweifel bestehen, zentrale Orte kultureller Bildung. Sie sind die einzige Bildungsinstitution, die allen Kindern und Jugendlichen Teilhabe an kultureller und insbesondere auch musikalischer Bildung ermöglicht – und dies in allen Regionen Bayerns.

Im Zentrum dieser musikkulturellen Arbeit steht hochwertiger Klassenmusikunterricht, der von qualifizierten Lehrkräften erteilt wird. Zahlreiche Aktivitäten der vergangenen Jahre bezeugen die intensiven gemeinsamen Bemühungen von bayerischem Kultusministerium, Landeskoordinierungsstelle Musik, Bayerischem Musikrat sowie Akteurinnen und Akteuren aus Hochschulen und Verbänden. Gemeinsames Ziel war und ist es auch in Bayern, dem deutschlandweit beklagten, chronischen Musiklehrermangel zu begegnen und für Qualifizierung der Lehrkräfte zu sorgen. Exemplarisch genannt seien die Initiativen "Verstärkung der Musikpraxis an Grundschulen", „Lehrer singen - Kinder klingen“ und „Ich kann’s!“, Publikationen wie die „Singlok“, die Handreichungen „Musik an Grundschulen – Lieder und Ideen aus der Praxis“ oder die vielfältigen Materialien, die jährlich zum „Aktionstag Musik in Bayern“ veröffentlicht werden. Vorstand und Mitglieder des VBS sind in vielfältiger Weise in solche Aktivitäten eingebunden.

Wir fordern Sie auf, dieses Engagement zugunsten anspruchsvoller Schulmusik und ansprechender kultureller Bildung an bayerischen Schulen nicht zu desavouieren, sondern nach Kräften zu unterstützen. Wir laden Sie herzlich ein, am Unterricht einer Grundschule teilzunehmen und vor Ort zu erleben, wie qualifizierter Musikunterricht aussieht und was er leistet. Auch für ein Gespräch darüber, was Musiklehrkräfte können müssen, welche Optionen es für deren Ausbildung, Fortbildung und Nachqualifizierung gibt und welchen Beitrag Hochschulen und Musiklehrerverbände dabei leisten, stehen wir gerne zur Verfügung.

 

Mit freundlichen Grüßen

Heidi Speth, Vorsitzende des Verbands Bayerischer Schulmusiker e. V. (VBS)

Prof. Dr. Bernhard Hofmann, Sprecher der Deutschen Gesellschaft für Schulmusik (DGS)